Stress mit der Mutter, Streit mit dem Vater – der Alltag von Rapunzel. Es folgt der mutige Entschluss, auf eigene Faust das Weite zu suchen, bewaffnet mit einer Bratpfanne. Doch schon bald trifft Rapunzel draußen in der großen Welt auf erste Herausforderungen: Wohin überhaupt mit der neu gewonnenen Freiheit? Und wie kommt sie überhaupt von hier weg?
Schulterzuckend setzt sie sich in eine Bushaltestelle, irgendwohin wird der nächste Bus schon fahren. Hauptsache weg hier… Doch bleibt sie nicht lange allein. Ein schmieriger Cowboy macht sich breit, wortwörtlich „manspreaded“ er sich in Rapunzels Privatsphäre und nutzt ihre Hilflosigkeit handgreiflich aus. Erst als zwei starke weibliche Fashion-Iconen mit ihren wallenden Mähnen die Bushaltestelle erreichen, stellen sie ihn mutig zur Rede und verpassen ihm ordentlich eine mit ihren großen Handtaschen. Da bricht auch Rapunzel aus ihrer Schockstarre, steigt auf die Sitzbänke und schlägt den Täter mit ihrer Bratpfanne ko.
Was folgt, überrascht alle im Heppel & Ettlich, wo die Schülerinnen und Schüler ihre Version von Rapunzel gerade aufführen: Sie brechen aus ihren Rollen, öffnen die vierte Wand und richten sich an der Bühnenkante direkt an ihr Publikum. Niemand solle solche übergriffigen Situation erdulden müssen. Niemand müsse sowas stumm über sich ergehen lassen – weder von Fremden, noch von Menschen aus dem privaten Umfeld. Auch wer Zeug*in einer solchen Situation werde, dürfe helfen oder Hilfe holen. Für alle Betroffenen sei hier auf den Toiletten ein Aushang mit Telefonnummern und Anlaufstellen, um bei Bedarf in Kontakt zu treten.
Point of View: Liebe
Das sind also die Themen, die diese Jugendlichen aktuell beschäftigen? Stress mit den Eltern, Ausbruch, Freiheit und sexuelle Übergriffe? Der starke Appell der Schauspielerinnen klingt beim Publikum noch lange nach.
„Point of View“ ist englisch und steht für die Erzählperspektive einer Geschichte. Auf Deutsch bedeutet das auch „Blickwinkel“. Bei dem Point-of-View-Projekt von Impro macht Schule e.V. geht es uns darum, die Jugendlichen zu ermutigen, ihre Themen zu formulieren und durch Methoden des Improvisationstheaters unter Anleitung unserer Trainer*innen künstlerisch zu bearbeiten. Im Laufe des Schuljahres kristallisiert sich zunächst ein Thema heraus und die Gruppe um Trainerin Asisa Hafez hat für sich das Thema Liebe gefunden. Gemeinsam haben die Schülerinnen und Schüler Despoina Baltzi, Hanna Tran, Victoria Dinh, Katarina Abramovic, Eylias Amin, Heba Saiali, Rey Bezrodnow und Daniel Krehan von der Willy-Brandt-Gesamtschule im Laufe des Schuljahres kurze Szenen entwickelt und diese nun für ihre Aufführung zu einem Stück zusammen gefügt. Texte, Technik, Musik und Artwork – alles stammt aus der Kreativität der Jugendlichen.
Rapunzel und die Liebe
Nach einigen Kostüm- und Rollenwechseln, einer Slow-Motion Actionszene und zur Situation immer passenden Musik steigt Rapunzel schließlich in einen Bus ein, der sie weit weg von hier bringt. An ihrer Seite ist inzwischen ein Junge, freundlich, höflich und sogar ein bisschen schüchtern zunächst. Er begleitet sie und gemeinsam schaffen sie es, Rapunzels Mutter unter der Nase in die Freiheit davonzuhuschen.
Wir danken Sabine Froschmayr und PSP für die Unterstützung des Projektes. Herzlichen Dank an die G+D Stiftung für die großzügige ganzjährige Förderung und an Heppel & Ettlich für die Räumlichkeiten.